20.09.2021

Interview mit Maria Moritz

Möhnesees Bürgermeisterin im Gespräch

Eher zufällig nach Möhnesee gezogen, hätte sich Maria Moritz nie träumen lassen, hier einmal Bürgermeisterin zu sein. Im Interview verrät die 51-Jährige, warum sie sich in Möhnesee verliebt hat, wie sie sich auf das Amt vorbereitet hat und wie sie unter anderem die Verkehrsproblematik in den Griff bekommen will.

Aus Magazin Nr: 164

14 min Lesezeit

Frau Moritz, was war nach fast einem Jahr im Amt der Bürgermeisterin Ihre bisher größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung war es erst einmal im Rathaus anzukommen und die ganze Grundstruktur zu erlernen. Zu schauen, wie der Laden läuft, wie gearbeitet wird, wie alles organisiert ist. Irgendwann ist man dann aber drin und heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich jemals etwas anderes gemacht habe. Mir macht es unheimlich viel Spaß!

Eine Herausforderung, die noch ansteht, ist die Umstrukturierung des Fachbereichs 3. Hier bekommen wir einen neuen Fachbereichsleiter. Ich übernehme die Funktion gerade temporär und arbeite mich in die ganze Baurechtsthematik ein. Das macht mir ebenfalls viel Spaß, aber manchmal träume ich nachts davon (lacht).

Wie sieht Ihr Alltag als Bürgermeisterin aus? Er ist bestimmt stressiger als zuvor.

Es ist auf jeden Fall stressiger, aber die Arbeit macht mir unheimlich viel Spaß, deshalb empfinde ich sie nicht als Stress. Ich habe nicht – wie viele denken – um 16 Uhr Feierabend. Ich bin gern auch abends nochmal länger hier im Rathaus und manchmal auch am Wochenende im Büro, weil ich da einfach Dinge abarbeiten kann, die mehr Konzentration erfordern. Was mir unheimlichen Spaß macht, ist der Kontakt zu den Bürgern. Die Bürger rufen mich auch einfach an, wenn ihnen etwas auf dem Herzen liegt. Viele wissen mittlerweile, dass ich freitagnachmittags im Rathaus erreichbar bin.

Als Bürgermeisterin sind Sie auch Führungskraft. Wie kommen Sie mit dieser Aufgabe klar?

Ich habe früher Seminarhäuser geleitet und dadurch war Personalführung für mich immer schon ein großes Thema. Das waren nicht über hundert Mitarbeiter wie hier, aber durchaus bis zu 25 Personen. Ich habe zudem viel Führungserfahrung durch meine Zeit an der Schule. Wenn sie eine Schulklasse führen können, können sie fast alles führen (lacht). Mir ist es wichtig das jeder gern zur Arbeit kommt und darauf aufzupassen, dass es jedem hier gut geht.


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„Wir haben uns in Möhnesee verliebt.“
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Was hat Sie seinerzeit an den Möhnesee verschlagen und was hat Sie so lange hier gehalten?

Ich war gerade frisch verheiratet und hatte in Münster eine Stelle, die aber nur eine Schwangerschaftsvertretung war. Jung und verheiratet war es damals unheimlich schwierig einen Job zu bekommen, weil es viele Bewerber gab. In der Kirchenzeitung habe ich eine Annonce vom Josef-Joos-Haus gesehen, das damals Seminarhaus war. Heute ist es die Jugendherberge. Ich habe mich einfach darauf beworben, weil ich ja etwas Neues brauchte – gar nicht mit dem Gedanken, dass ich diese Stelle bekommen würde.

Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen, das ganz grässlich verlief. Danach fuhr ich wieder nach Hause und war kaum angekommen, da erhielt ich den Anruf, dass ich die Stelle bekomme. Ich sagte völlig perplex zu, aber immer mit dem Gedanken, ich gehe wieder zurück. Ich habe mich mit meinem Heimatdorf sehr identifiziert.

Diese Einstellung hat sich schon nach einem halben Jahr geändert. Ich bin hier sofort in Vereine eingetreten, habe selber Sportkurse angeboten. Mein Mann ist nachgekommen, in die Feuerwehr eingetreten und so waren wir integriert. Es war schnell klar, dass wir nie wieder zurück ins Münsterland ziehen. Wir haben uns in Möhnesee verliebt.

In was genau haben Sie sich verliebt?

In alles. In die Menschen, in die Umgebung, in die Angebote. Das kann ich nicht differenzieren. Es ist das Zusammenspiel verschiedener Faktoren.

Was war dann der Beweggrund, dass Sie gesagt haben, hier will ich Bürgermeisterin werden?

Das kann ich Ihnen ganz gerne beantworten. Irgendwann sagte Hans Dicke, dass er nicht wieder antritt. Gemeinsam mit meiner Familie philosophierten wir am Tisch darüber, wie denn ein Nachfolger sein müsste, um das Amt auszufüllen. Und dann sagte meine Familie einstimmig: Du beschreibst dich! Ich wiegelte gleich ab. Ich war ja schon politisch tätig, weil mir Möhnesee so wichtig ist. Aber ich wollte keine Politik machen. Das hat mich auch in der Schule nie interessiert. Ich bin da wie die Jungfrau zum Kinde gekommen, weil man mich gefragt hat. Ich wollte eigentlich nur meinen Bürgerbus realisieren. Aber Bürgermeisterin geht gar nicht, ich habe ja auch keine Verwaltung gelernt.

Dann habe ich mir aber in Ruhe Gedanken gemacht und gegrübelt. Ich habe mir irgendwann die Frist von einem Jahr gesetzt, um eine Entscheidung zu treffen. In diesem Jahr habe ich mit verschiedenen Menschen gesprochen, zum Beispiel mit dem Kämmerer und bereits aktiven Bürgermeistern. Ich musste mir im Klaren werden, was das für mich und meine Familie bedeutet. Ich gehe mit meinen Freundinnen jedes Jahr auf den Jakobsweg und dort haben wir ebenfalls kontrovers darüber diskutiert.

Als Nächstes habe ich dann Seminare besucht, um zu schauen, ob ich mir das zutraue. Es gab ein hin und her der Gefühle bei mir. Ich musste immerhin etwas aufgeben, was ich gern getan habe. Und ich weiß bis heute nicht, was es für mich bedeutet, wenn ich nicht wiedergewählt werde. Denn ich habe für das Bürgermeisterinnenamt meinen Beamtenstatus aufgegeben. Ich hatte einen Beamtenstatus auf Lebenszeit.

Ist die Arbeit als Bürgermeisterin von Möhnesee so, wie Sie es sich vorgestellt haben oder hat Sie die Realität eingeholt?

Durch die vielen Gespräche und Seminare im Vorfeld waren mir viele Dinge bewusst, die auf mich zugekommen sind. Natürlich hätte ich mir das Ganze lieber ohne Corona gewünscht. Aber zum Glück haben auch die Bürger viel Verständnis für die außergewöhnliche Situation aufgebracht.

Eins der größten Streitthemen ist immer wieder der viele und laute Verkehr am See. Es gibt einen runden Tisch, zuletzt wurden wieder mal Gespräche mit Bikern geführt. Die Fronten aber scheinen verhärtet. Wie sieht Ihre Lösung für das Problem konkret aus?

Mein großes Ziel in dem Zusammenhang ist es Modellkommune im Rahmen der Regionale 2025 zu werden. Ich glaube, dass wir dadurch viele Möglichkeiten bekommen verschiedene Dinge auszuprobieren. Zum Beispiel eine Einbahnstraßenregelung am Südufer, die an den Wochenenden gilt. So etwas ist nicht ohne Weiteres möglich.

Eine weitere Idee ist die Besucher schon vor der Ankunft am See zu motivieren auf Fahrräder oder Busse umzusteigen. Dafür müssen rund um den See attraktive Parkmöglichkeiten geschaffen werden. Die Attraktivität kann durch Boni erzeugt werden. Die Basis dafür ist ein Verkehrsleitsystem. Vieles ist erst möglich, wenn wir Modellkommune sind. Dann können wir auch ganz andere Förderungen bekommen.

Eine kleine Maßnahme mit hoffentlich großer Wirkung sind die Lärmschutzdisplays, die ich installieren möchte. Die sehen aus wie die Geschwindigkeitsmessstellen. Nur wird dort keine konkrete Geschwindigkeit angezeigt, sondern „du bist zu schnell“ oder „du bist zu laut“. In der Eifel konnte damit der Schalldruck um die Hälfte halbiert werden. Damit erreicht man zum Beispiel die, die zu laut fahren, aber es gar nicht merken. Die meisten sind schließlich vernünftig, müssen aber vielleicht mal erinnert werden. So ein Messgerät kostet allerdings rund 17.000 Euro – das ist schon eine Hausnummer. Aber es hat sich sogar schon ein Bürger gemeldet, der der Gemeinde ein Display spenden möchte, was ich richtig klasse finde. Wenn alles klappt, kriegen wir dieses Jahr vielleicht das erste Gerät. Wenn wir sehen, dass es etwas bringt, werden wir es natürlich auch an unterschiedlichen Stellen installieren.


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„Ich kriege keinen Motorradfahrer aufs Fahrrad. Da brauche ich gar nicht dran denken.“
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Bürgermeisterin Maria Moritz vor einem großflächigen Luftbild der 2007 zuletzt übergelaufenen Talsperre.

Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder von „sanftem Tourismus“ gesprochen. Was ist sanfter Tourismus für Sie? Mit welchen Maßnahmen wollen Sie ihn fördern?

Wir müssen die Touristen besser verteilen. Mir ist wichtig, dass sie nicht nur zentriert an einigen Stellen zusammenkommen. Das hat auch den Hintergrund, dass ich möchte, dass auch die kleinen Ortsteile vom Tourismus profitieren und nicht nur die negativen Erfahrungen machen. Wir haben ja auch Orte wie Berlingsen, Wippringsen und Büecke. Das sind Durchfahrtsorte, die unter der Verkehrssituation ebenso leiden und gleichzeitig kaum etwas davon haben. Zumindest nimmt man es dort so wahr. Denn den Profit alles zu nutzen, was die Gemeinde anbietet, haben auch die Bürger. Wir überlegen derzeit zum Beispiel vergünstigte Parkkarten anzubieten, damit Einheimische die Angebote selbst noch besser nutzen können.

Wir müssen die Besucher gezielt dorthin lenken, wo sie hin wollen. In Völlinghausen wollen wir zum Beispiel einen Bereich schaffen, wo man Natur nicht nur nutzt, sondern auch bewusst wahrnimmt. Damit sprechen wir eine Klientel an, das ein ruhigeres Verhalten an den Tag legt. Die „Park and Bike“-Plätze, wie ich sie nenne, haben auch eine Lenkungsfunktion. Das Auto soll außerhalb stehen gelassen werden und die Leute sollen aufs Rad steigen, das man dort vielleicht sogar mieten kann. Aber die Masse ist das natürlich auch nicht. Ich kriege keinen Motorradfahrer aufs Fahrrad. Da brauche ich gar nicht dran denken. Dennoch werden wir damit sicherlich einige bekommen. Was natürlich wiederum dazu führt, dass wir mehr Verkehr auf den Fahrradwegen haben. Die Wege von damals sind für die Massen von heute natürlich nicht gemacht.

Ich muss schauen, dass ich Angebote schaffe, die nicht für mehr Lärm sorgen. Für mich käme zum Beispiel niemals infrage auf irgendeinem Becken des Sees Wasserski anzubieten. Stattdessen sind ruhige Wassersportangebote wie Stand-Up-Paddling für mich sanfter Tourismus.

Sind Ihnen Tagestouristen oder Langzeiturlauber lieber?

Wir freuen uns, dass wir viele Gäste bekommen, auch viele die langfristig bleiben. Nicht nur ein, zwei Tage, sondern wir haben Urlauber, die teilweise bis zu zehn Tage bleiben. Das war früher nicht so. Diese Urlauber sind aber auch die ruhigen, die man nicht so merkt. Der Tagestourismus ist der, der stark belastend ist. Wir wollen sie nicht vertreiben, aber wir müssen eine gute Verträglichkeit mit den Anwohnern und den Erholungsurlaubern, die länger bleiben, hinbekommen.

Möhnesee ist nicht zuletzt aufgrund des Sees ein attraktiver Wohnort für viele. Wie wollen Sie die Gemeinde diesbezüglich weiterentwickeln?

Die Entwicklung der Gemeinde muss am Bedarf ausgerichtet sein. Ich möchte den dörflichen Charakter von Möhnesee auf jeden Fall behalten. Das ist mir wirklich wichtig. Das war eins meiner Ziele, warum ich überhaupt Bürgermeisterin geworden bin. Ich möchte das Möhnesee schön bleibt und es nicht nur höher, schneller, weiter geht. Ganz im Gegenteil. Manchmal muss man einfach auch sagen: So wie es ist, ist es jetzt genau richtig. Aber klar, etwas Entwicklung wird immer sein. Dennoch müssen wir minimieren und gucken, wo der Bedarf wirklich ist. Alles, was wir neu schaffen, benötigt schließlich auch Infrastruktur.

Wassermangel in der Talsperre und Kahlflächen soweit das Auge reicht. Die Klimakatastrophe wird gerade auch am Möhnesee immer sichtbarer. Was tun Sie als Bürgermeisterin dagegen?

In jeder Krise steckt eine Chance. Wir wissen, dass der Arnsberger Wald sich über die Jahrhunderte zu einem Fichtenwald entwickelt hat. Jetzt haben wir die Chance ihn neu zu entwickeln. Wir haben zwei große Projekte in dieser Richtung gestartet. Das eine ist unser Bürgerwald, der vor einiger Zeit durch die CDU beantragt wurde. Mittlerweile ist die Resonanz so groß, dass wir ein viel größeres Areal haben als geplant, um dort auch Bäume zu pflanzen, sie sonst vielleicht nicht gepflanzt worden wären. Dann haben wir noch das Thema WaldLokal, das der Aufforstung und nachhaltigen Bewirtschaftung dient.

Gleichzeitig werde ich natürlich alles tun, was wir im Moment sonst noch machen können. Das Thema Blühflächen ist für mich ein wichtiges, genauso wie Streuobstwiesen. Und naturnahes Bauen ist mir auch wichtig. Wenn neu gebaut wird, versuche ich die Bauherren in die Richtung zu lenken, dass nachhaltig gebaut wird. Das Thema Nachhaltigkeit ist für mich eins der wichtigsten beim Klimaschutz, auch wenn der Begriff häufig abgedroschen klingen mag. Nachhaltigkeit beinhaltet alle Themen – von Tourismus über Verkehr bis hin zur Weiterentwicklung der Baugebiete.


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„Möhnesee ohne Vereine wäre ein Nichts.
Wir hätten weder die Angebote noch den Charme.“

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Was sind Ihre Ziele, die Sie in Ihrer Amtszeit auf jeden Fall noch umsetzen möchten?

Neben den bereits genannten ist auch die Vereinsarbeit für mich unheimlich wichtig. Ich möchte die Vereine dabei unterstützen wieder Mitglieder zurückzugewinnen. Dafür würde ich gern ab dem nächsten Jahr einen Tag des Ehrenamtes mit einer Art Markt des Ehrenamtes veranstalten. So können zum Beispiel neu Zugezogene einfach mal gucken, was Möhnesee alles an ehrenamtlichen Möglichkeiten bietet.

Viele wollen sich einbringen, wissen aber gar nicht was es alles gibt. Da wo ich die Vereine unterstützen kann, werde ich mein Bestes dafür tun. Schon allein, weil ich selber mit dem Ehrenamt groß geworden bin. Ich stamme aus einem 1.600-Seelen-Dorf und weiß wie wichtig dieses Thema ist. Möhnesee ohne Vereine wäre ein Nichts. Wir hätten weder die Angebote noch den Charme.

Schön wäre es, wenn man den Ehrenamtstag am Abend mit einer kleinen Party abschließen könnte und in dessen Rahmen vielleicht auch den neuen Heimatpreis verleiht.

Was ist Ihr Lieblingsplatz am Möhnesee?

Das ist schwierig, weil es viele schöne Plätze gibt, die ich genieße. Das Schönste, was ich regelmäßig erleben, ist der Weg zur Arbeit. Wenn ich morgens und abends über den See fahre. Das sind nur ein paar Sekunden, die für mich jedoch sehr bedeutungsvoll sind. Und ansonsten liebe ich das Gebiet rund um die Kanzelbrücke. Das ist ein Ruhepol am See. Da fahre ich auch viel mit dem Fahrrad hin. Überhaupt das Wameler Becken ist sehr schön.

Sie pilgern etappenweise den Jakobsweg. Wie viele Kilometer haben Sie noch bis nach Santiago de Compostela? 

Wir sind jetzt mitten in Belgien. Wir sind direkt vor der Tür gestartet und einen Tag gelaufen. Wir haben ausgemacht, dass wir jedes Jahr einen Tag mehr laufen. Mittlerweile sind wir bei acht Tagen und sieben Nächten. Bevor wir einen Rollator brauchen, wollen wir in Santiago de Compostela ankommen (lacht). Aber dafür brauchen wir noch ein paar Jahre. An die 2.000 Kilometer dürften es noch sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview und Fotos von Matthias Koprek