22.11.2021

BIKERPACKING

Ein tierisch gutes Abenteuer

Ein Bike, ein Mensch, ein Hund – die Zutaten für ein großartiges Bikepacking-Abenteuer auf dem Rothaarsteig im Sauerland...

In Rubrik: Wirtschaft | Aus Magazin Nr: 165

8 min Lesezeit

Wer auf den Hund gekommen ist, dessen Leben erfährt die ein oder andere Veränderung ab dem Tag, an dem der kleine Kerl einzieht. Wo früher Ordnung herrschte, entwickelt sich schnell ein wundersames Chaos, während die Ruhe von einst, dem lebensfrohen Buhlen um Aufmerksamkeit weicht. Je ungestümer das neue Familienmitglied, desto anstrengender können die ersten Monate sein, doch keine angeknabberten Schuhe, keine schlaflosen Nächte, keine ausgeräumten Komposter und keine Nasenstupser an allen Fenstern können darüber hinwegtäuschen, dass ein neuer bester Freund in das Leben des einst so biederen Rudels Einzug gehalten hat.

Mit der Zeit beruhigt sich das Chaos, oder vielleicht gewöhnt man sich auch nur daran. Der Alltag kehrt ein und auch der Vierbeiner hat gelernt, Dinge zu akzeptieren. Dass der Kuchen auf dem Tisch tabu ist zum Beispiel. Selbst das Alleinsein verliert seinen Schrecken, auch wenn es jedes Mal einen Freudensturm auslöst, wenn der Rest vom Rudel zurückkehrt. Doch fragt man die Fellnase und auch seinen menschlichen Konterpart, so sind sich alle einig: Es gibt doch nichts Schöneres, als Dinge gemeinsam zu tun.

Bloß ist das nicht immer so einfach. Hier und da geht es schlichtweg nicht. Das Einkaufen bleibt dem Vierbeiner ebenso verwehrt, wie der Kinobesuch oder die Achterbahnfahrt. Und doch weiß der treue Begleiter stets, was ihn erwartet, denn er weiß jedes Zeichen zu deuten. Wenn die Schlüssel rasseln, die Einkaufsbeutel herausgesucht und das Lastenrad gesattelt wird, dann dauert es nicht lange, bis Herrchen vollgepackt mit köstlichen Düften zurückkehrt, um jede Menge begehrenswerte Leckereien in diesem kalten Schrank zu verstecken. Wenn er das normale Fahrrad hervorholt, folgt in der Regel großer Spaß: Dann wird Gassi gefahren! Wenn er aber zuvor noch stundenlang am Rad herum schraubt und allerlei Taschen daran befestigt, bis er es kaum noch tragen kann, bedeutet das nichts Gutes. Irgendwie verschwindet er dann immer für längere Zeit und es bleibt ein ewiges Rätsel, was er in der Zwischenzeit treibt. Nur eines ist immer gleich: Kommt er zurück, duftet er nach Dreck und Schweiß, sodass man nicht anders kann, als ihn abzulecken. Heute ist es wieder soweit. Doch etwas ist anders. Denn anstatt sich zu verabschieden, wird das Fahrradgeschirr angelegt. Das kann nur eines bedeuten: Ein tierisches Abenteuer!

Unser erstes gemeinsames Bikepacking-Abenteuer führte meinen Dalmatiner Sancho und mich an die Mosel. Damals trafen wir uns mit einem Freund und seiner Dalmatinerhündin, um nach einem langen Tag im Sattel mit unseren Vierbeinern zum ersten Mal außerhalb vom warmen Zuhause in einer Schutzhütte im Wald zu nächtigen. Damals kam es nicht soweit – Roja hatte sich unterwegs eine Tatze aufgeschnitten, sodass das Abenteuer vorerst beendet wurde. Nun wagten wir einen zweiten Anlauf – allerdings nur zu zweit. Der Plan: Wir fahren mit dem Zug ins Sauerland, um von Brilon aus über eine Gravel-Variante des Rothaarsteigs bis nach Winterberg zu radeln. Nach etwas mehr als der Hälfte der Strecke hatte ich uns eine „gemütliche“ Schutzhütte in der Niedersfelder Hochheide herausgesucht, in der ich unser Nachtlager für die tierische Overnighter-Premiere einrichten wollte. Dafür hatte ich einen Schlafsack, eine Isomatte und eine Hundedecke eingepackt. Mehr war leider nicht drin, da das Fahrrad mit Menschen- und Hundefutter, Wasser für zwei Naturburschen, ein paar Ersatzteilen und warmen Klamotten für die kalte Nacht bereits ziemlich voll beladen war. Ich hoffte einfach, dass es nicht ganz so frisch und, dass wir schon irgendwie gut schlafen würden. Die Gedanken daran, was alles schiefgehen könnte, sind sofort verschwunden, sobald sich die Türen des Zuges öffnen und unser gemeinsamer Doggy-Packing-Trip endlich so richtig beginnt.

Keine zwei Kilometer dauert es, bis wir den ersten Forstweg erreichen. Einmal „Sitz“, einmal „Klack“ und ab ist die Leine. Willkommen im Sauerland, das Land ohne Leine, wo der Hund noch Hund sein kann. Sancho lässt sich das nicht zweimal sagen und lässt keinen Baumstumpf und keinen Holzpfahl aus, um sie abzuschnuppern und als die Seinen zu markieren. Aus Brilon heraus führt uns die Route zunächst in Richtung „TrailGround“. Das ist ein Areal, in dem unzählige Mountainbike Strecken angelegt wurden, die aber zum Teil auch mit dem Gravelbike gut befahrbar sind. Vor allem aber sind sie auch gut „belaufbar“: Sancho liebt sie! Ich bin richtig neidisch auf ihn: So schnell, wie er die Strecken hinauf flitzt, bin ich absolut chancenlos. Er verschwindet immer wieder hinter der nächsten Kurve, um dort mit verschmitzten Blick auf mich zu warten, als wolle er sagen: „Wo bleibst du denn nur?“

Radfahren mit Sancho ist immer etwas Besonderes. Es ist weniger konstant, wie ich es auf einer langen Tour normalerweise gewohnt bin. Vermutlich liegt es daran, dass Sancho ein Hund ist und grundsätzlich andere Motive verfolgt, als ich es mache. Für ihn zählt: laufen, schnuppern, stehenbleiben, wieder schnuppern, markieren, toben und hinterherrennen. Es ist ein „Stop-and-Go“, ein Mix aus Vollgas und Pause. Wo wir eigentlich sind? Wohin wir eigentlich wollen? Woher wir eigentlich unser Essen bekommen? Das alles ist dem Hund ziemlich egal – das ist mein Job und dass ich ihn erledige, darauf verlässt sich der vierbeinige Freund voll und ganz. Ebenso wie darauf, dass wir abends erschöpft, aber glücklich wieder zu Hause ankommen, wo der volle Napf und die warme Decke auf uns warten. Schließlich ist das doch immer so. Heute allerdings nicht. Wir fahren und laufen, immer weiter und weiter. Ich genieße viele schöne Aussichtspunkte, während Sancho vor lauter neuen Gerüchen gar nicht weiß, wo er zuerst schnüffeln soll. Ich schieße ein Erinnerungsfoto an den bekannten Bruchhauser Steinen, als es bereits dämmert und wir uns unserem Tagesziel, der Willinger Hochheide, nähern. Wir kommen gerade noch rechtzeitig, bevor die Hochheide-Hütte schließt, sodass ich noch ein Stück Kuchen bekomme und noch unsere Trinkflaschen auffüllen kann. Kurz darauf erreichen wir das Gipfelkreuz am Clemensberg, der mit 839 Meter Höhe beinahe so hoch ist, wie der wesentlich bekanntere Kahle Asten, an dem morgen unsere Tour endet. Der Blick ins Tal und auf den kleinen Ort Hildfeld ist genial, zumal die Sonne einen astreinen Untergang hinlegt.

Ab jetzt geht es nur noch ein Stück bergab – und schon erreichen wir die „gemütliche“ Holzhütte, die uns immerhin ein Dach über dem Kopf beschert. Während Sancho sein Abendessen verschlingt, blase ich die Luftmatratze auf, die sofort vom Schwarz-Weißen Knäuel als „Schlafplatz“ identifiziert und vereinnahmt wird. Erst als ich andeute, dass dieser Platz für uns beide reichen muss, wirft mir Sancho ein paar dieser „echt jetzt?“-Blicke zu, bis er sich endlich schnaubend neben mir niederlässt. Der Anfang einer ziemlich schlaflosen Nacht...

Gegen 20 Uhr ist es endlich dunkel. Leider tun mir jetzt schon alle Knochen weh. Ich versuche, mich möglichst wenig zu bewegen, denn das würde wiederum den Hund veranlassen, aufzustehen und sich neu zu betten – inklusive dem nächsten Versuch, ein paar Zentimeter mehr Luftmatratze einnehmen zu können. Als ich erneut wage auf die Uhr zu schauen, ist es erst Zehn. Plötzlich schreit ein Vogel, als würde er gerade gefressen. Sancho findet das sehr aufregend und fühlt sich zu einer kleinen Spritztour veranlasst. Während er durchs Gebüsch wuselt, fällt mir auf, dass er wirklich eine sehr wärmende Wirkung hat: Sobald er unter dem Schlafsack verschwindet, wird es richtig kalt. Als er endlich seinen Streifzug beendet, kommt die Wärme zurück und endlich kehrt auch etwas Ruhe ein. Gut schlafen wir beide nicht, aber wir wissen trotzdem: Gemeinsam ist es wärmer und irgendwie ist es auch ein bisschen gemütlich. Als es endlich hell wird, habe ich eine der unkomfortabelsten Nächte meines Lebens hinter mir, aber auch eine der schönsten. Ich glaube, Sancho sieht es ähnlich: Kaum signalisiere ich „aufstehen“, schon dreht er richtig auf und legt vor der Hütte ein paar rasante Extrarunden voller Lebensfreude hin.

Die Sonne geht auf und macht die ersten Kilometer zum puren Genuss. Wir radeln und laufen durch schattige Wälder und über offene Wiesen mit großartigem Blick ins neblige Tal. Alles ist noch ganz feucht und überall glitzert es, bis wir schließlich die Quelle der Ruhr erreichen. Noch einmal fülle ich unsere Trinkflaschen auf.

Währenddessen gönnt sich Sancho einen Schluck direkt aus der Quelle, ohne zu wissen, dass dies derselbe „Fluss“ ist, wie der große Strom bei seinem Zuhause. Im Winterberger Trailpark darf der Hund nochmal zeigen, was er kann, bevor wir beim Endspurt auf den Kahlen Asten ein letztes Mal aus der Puste kommen. Langsam ist mein vierbeiniger Freund sichtlich erschöpft und es ist gut, dass wir gegen Mittag unser Ziel erreichen. Noch einmal „Highfive“, dann geht es auf zur Bahn, die uns wieder nach Hause bringt. Sancho liegt unter meinem Sitz im Zug und brummt zufrieden vor sich hin. Wahrscheinlich träumt er schon von all den neuen Eindrücken und vertraut voll und ganz darauf, dass ich ihn schon wieder nach Hause bringe. Und wenn nicht, dann kuschelt er sich eben eine weitere Nacht an mich, wie es Freunde fürs Leben eben tun...