08.06.2021

Interview mit Bürgermeister Rainer Busemann

Halbes Jahr im Amt

Bürgermeister Rainer Busemann über seine Vision 2030, Facebook, die Gemeinde als Bauherr und seinen besten Fehler

Aus Magazin Nr: 163

13 min Lesezeit

Herr Busemann, macht ein Bürgermeister auch Homeoffice?

Ja, ein Bürgermeister macht auch Homeoffice. Allerdings hat sich das bei mir auf ein paar Tagen beschränkt. Nachdem ich festgestellt habe, dass ich trotzdem zweimal am Tag ins Rathaus gefahren bin, um gewisse Termine wahrzunehmen, habe ich mich dann doch dazu entschlossen wieder komplett im Rathaus zu arbeiten. Es ist schon schwierig, denn ich möchte die Termine ungern zu Hause machen, um meine Privatsphäre zu wahren. Ich war vielleicht fünf Tage am Stück im Homeoffice, das war die längste Zeit.

Mit der Vespa fährt Rainer Busemann nicht nur  gern ins Rathaus,  sondern  auch zu Terminen innerhalb  der Gemeinde.
Mit der Vespa fährt Rainer Busemann nicht nur gern ins Rathaus, sondern auch zu Terminen innerhalb der Gemeinde.

Die Gemeinde beteiligt sich an der Rettung des Fachwerkhauses und des Restaurants „Zur alten Post“. Warum ist Ihnen das wichtig?

Die Alte Post neben dem Rathaus hat mich im letzten halben Jahr stark beschäftigt. Wir haben viel Kraft aufgebracht, um eine Möglichkeit zu finden die Gastronomie mit

Hotelbetrieb und Saalgeschäft aufrecht zu erhalten. Ich sage dabei ganz ehrlich, dass ich das nicht tue, weil die Alte Post im Zentralort ist. Das tue ich deshalb, weil ich überzeugt bin, dass es in Ense möglich sein muss, dass so ein Betrieb Zukunft hat. Wir müssen doch in der Lage sein in Ense Gastronomie und auch Übernachtungen anbieten zu können.

Die Gründung der Genossenschaft durch sehr aktive Bürger halte ich für eine ausgezeichnete Lösung. Ich bin froh, dass die Verantwortung für das traditionsreiche Fachwerkhaus nicht allein der Gemeinde übertragen wird, wie es ja vor meiner Zeit als Bürgermeister auch schon mal diskutiert wurde. Das hätte ich für schwierig erachtet. Die von den Bürgern getragene Lösung der Genossenschaft hat einen gewissen Charme.

Jetzt kommt es natürlich darauf an, was es den Bürgern wirklich wert ist, dass so etwas wie die Alte Post erhalten bleibt. Das wird sich zeigen, wenn es um die Zeichnung der Genossenschaftsanteile geht. Ich bin sehr gespannt, wie viele Bürger dabei mitmachen. Aber mein Gefühl sagt mir es wird klappen. Ich sage immer: Von einer Gastronomie lebt die andere mit.

Mit Ihrer Facebook-Seite wollten Sie im Wahlkampf – wenn man den denn ohne Gegenkandidaten so bezeichnen kann – die jungen Enser erreichen. „Das ist mir wichtig und das werde ich auch noch forcieren“, haben Sie in einem anderen Interview gesagt. Die Facebook-Seite ist mittlerweile gelöscht. Ist Ihnen die Kommunikation mit der Zielgruppe nach der gewonnenen Wahl nicht mehr wichtig?

Die Löschung der Facebook-Seite war eine Reaktion auf gewisse Kommentare, die ich nicht gutheißen konnte. Damit wollte ich gewissermaßen ein Zeichen setzen und zeigen, dass das so nicht geht. Ich werde auf Facebook wieder aktiv werden, aber ich bereite das gerade anders vor.

Ich weiß, dass Facebook ein wichtiges Kommunikationsmittel ist, aber ich glaube nicht, dass es das Kommunikationsmittel der Zukunft ist. Ich merke, dass die jungen Leute heute nicht mehr unbedingt auf Facebook sind.

Wir bereiten gerade hier im Rathaus Kommunikationswege vor, mit denen wir junge Leute demnächst erreichen, aber nicht über Facebook. Für die Gemeindeentwicklung haben wir nochmals Fragen an die Jungen ausgearbeitet, die Schüler der Conrad-von-Ense-Schule beantworten sollen. Und ich möchte mich den Schülern demnächst auch vor Ort in der Schule stellen und mit ihnen über die Zukunft von Ense sprechen.

Rainer Busemann
„Wir müssen uns unter den einzelnen Dörfern stärker vernetzen.“

Wie ist der aktuelle Stand beim Gemeindeentwicklungskonzept? Im Rahmen der Ankündigung über den Start des Prozesses wird versprochen, dass der aktuelle „Erarbeitungsprozess zum Gemeindeentwicklungskonzept ab dem 24.02.2020 jederzeit“ auf der Website der Gemeinde eingesehen werden kann. Seit der Corona-bedingten Absage der Auftaktveranstaltung vor mehr als einem Jahr ist dort nichts mehr veröffentlicht worden.

Das Gemeindeentwicklungskonzept stockt. Das liegt daran, dass wir an Präsenztreffen festhalten. Wir wollten die Auftaktveranstaltung nicht digital durchführen, weil sich damit der ein oder andere schwertun würde. Uns ist es wichtig alle Enser mitzunehmen, deswegen rate ich davon ab gerade diesen Aufschlag rein digital durchzuführen.

Wir haben Ense in sieben oder acht Bereiche eingeteilt, denen wir auf einer Informationsveranstaltung die Ergebnisse des Gemeindeentwicklungskonzeptes vorstellen wollen. Ich hoffe, dass wir Ende des Jahres Präsenzsitzungen veranstalten können.

Das Ergebnis ist so weit zusammengefasst. Wir haben bereits eine Priorisierung ausgearbeitet, aber es wäre zu früh zu sagen, dass daraus schon zwei, drei Dinge angegriffen werden. Ich habe auch schon während des Wahlkampfes gesagt, dass wir Leuchtturmprojekte schaffen müssen. Drei, vier Projekte, die wir im Zeitraum X umsetzen wollen. Dabei müssen wir die Bürger mitnehmen. Es kann nicht sein, dass wir das jetzt von oben entscheiden.

Wenn es wieder möglich ist, werden wir sofort starten. Die Pandemie wirft uns mindestens ein Jahr zurück. Außerdem geht es sehr schnell, dass Ergebnisse, die man ins Netz stellt, totgeredet werden. Deshalb ist mir der Dialog wichtig, zumal ich da gern in die Moderation mit reingehe. Ich will auch wissen, was die einzelnen Dörfer für wichtig erachten und priorisieren.

Welche Bürgervorschläge im Rahmen der Konzepterarbeitung haben Ihnen besonders gut gefallen?

Einen Vorschlag, mit dem ich wirklich nicht gerechnet habe, gab es nicht. Die Bürger suchen immer wieder das Grüne und Plätze zum Verweilen. Das Thema Mobilität wird häufig angesprochen.

Was mich allerdings erstaunt hat ist, wie viele Bürger ihren Dorfmittelpunkt suchen. Ich hätte gesagt den haben die Dörfer. Aber wenn man so darüber nachdenkt, fehlt er doch häufig. Gerade in den größeren Dörfern. Meine Frage ist, was die Bürger unter dem Mittelpunkt verstehen und was dort passieren soll.

Bei den Vorschlägen geht es oft um Treffpunkte und darum, wie ich andere kennenlerne sowie den Wunsch nach mehr Freizeitangeboten. Daraus muss man für junge Menschen einen interessanten Mix machen. Wobei ich schon glaube, dass in Ense einiges geboten wird. Wir müssen uns unter den einzelnen Dörfern aber stärker vernetzen.

Wohnen wird immer teurer, Ense ist kein günstiges Pflaster. Bauland wird zum Luxusgut, die Nachfrage nach Wohnungen ist deutlich größer als das Angebot. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

Das Thema umtreibt mich sehr. Ich arbeite gerade an einer Vision 2030. Zehn Jahre braucht man, um gewissen Dinge zu entwickeln. Es geht also darum zu schauen, wo wir in zehn Jahren stehen. Dabei schaue ich gezielt auf die älteren Wohnhäuser. Wir werden eine überproportionale Altersentwicklung haben, das steht fest. Wir werden sehr viele Immobilien haben, in denen ältere Menschen allein nicht mehr leben können. Auch Immobilien, die keinen Nachfolger aus der Familie haben werden. Ich glaube das ist ein großes Potenzial, auf das wir schauen müssen.

Braucht es mehr Mehrfamilien- als Einfamilienhäuser in Ense? Auch mit Blick auf immer mehr Singlehaushalte und alleinlebende Senioren.

Wir versuchen immer neue Baugebiete zu entwickeln, verbrauchen dabei große Flächen. In Ense werden viele Einfamilienhäuser gebaut. Das Ergebnis ist, dass ein Enser auf über 50 Quadratmetern wohnt. Das werden wir nicht aufrechterhalten können, zumal wir ja vielleicht trotzdem noch moderat wachsen wollen.

Deshalb müssen wir als Gemeinde selbst in die Immobilienentwicklung gehen. Auch Ense kommt irgendwann an seine Flächengrenzen. Warum soll die Gemeinde nicht selbst Wohnraum für alle Generationen bauen? Bezahlbaren Wohnraum! Es gibt einige schöne Grundstücke, die in Gemeindehand sind. Letztendlich müsste man dafür eine Gesellschaftsform finden und gründen. Ich glaube langfristig ist das die beste Kapitalanlage, denn rein vom Verkaufen kann man auf Dauer nicht leben, weil man nicht immer nur verkaufen kann. Ich möchte das Thema Immobilienentwicklung auf jeden Fall vorantreiben und selbst mindestens ein Projekt in diesem Bereich verwirklichen. Wir müssen uns klar machen, dass es vielleicht auch mal Baugebiete geben wird, wo nicht nur Einfamilienhäuser stehen. Wo eine Wohnbebauung hinpasst, die auch mal in die Höhe geht. Dadurch wird der Flächenverbrauch geringer. Und auch solche Häuser kann man sehr schön gestalten.

Wenngleich ich die Enser verstehen kann die sagen, dass ein Achtfamilienhaus mit entsprechender Größe nicht in die ländlichen Strukturen passt. Aber genau deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wo solche Häuser hinpassen.

Rainer Busemann
„Wir sind oft einfach nicht nachhaltig. Wir machen was, um es gemacht zu haben.“

Sie sind ein Mann aus der Wirtschaft, hatten früher selbst einmal den Traum der Selbstständigkeit. Die Wirtschaftsförderung haben Sie sich ganz oben auf die Fahne geschrieben. Nun wird das Augenmerk bei diesem Thema oft auf die größeren, häufig industriellen Betriebe gelegt, die ja auch einen großen Anteil an den Steuereinnahmen der Gemeinde ausmachen. Unsere Arbeitswelt befindet sich jedoch im Wandel – Stichwort: New Work. Im Jahr 2030 wird die Selbstständigkeit laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung die häufigste Beschäftigungsform sein. Schon heute gibt es auch in der Gemeinde Ense zahlreiche Selbstständige und Freiberufler im Homeoffice, die allerdings nicht so sichtbar sind wie die Fabrik im Industriegebiet. Wie wollen Sie die Solo-Selbstständigen, Freelancer, Start-ups und Kleinstbetriebe mit wenigen Mitarbeitern konkret fördern?

Da gebe ich Ihnen recht, das Thema Selbstständigkeit wird immer wichtiger werden. Mich hat wirklich erstaunt, wie viele Gewerbeanmeldungen es in Ense gibt – auch während der Pandemie. Da stellt sich für mich die Frage, wo die alle bleiben. Was brauchen die? Brauchen die Büroräume? Wir müssen diese Entwicklung im Blick behalten und sicherlich kleinteiliger vermieten.

Auf der anderen Seite sind wir in Ense noch sehr handwerklich geprägt. Wir reden immer von der Industrie in Höingen. Da gibt es 3.000 Arbeitsplätze, auf die wir sehr stolz sind. Aber wir dürfen die Handwerksbetriebe nicht vergessen. Die finden kaum Lehrlinge, die sie ausbilden können.

Auch wenn das Wort mittlerweile sehr strapaziert ist: Mir ist bei allem was wir tun die Nachhaltigkeit wichtig. Es wird viel gemacht, aber vieles verschwindet auch schnell wieder. Genau das darf nicht passieren. Wir sind oft einfach nicht nachhaltig. Wir machen was, um es gemacht zu haben. Dabei müssen wir es tun, weil wir überzeugt sind. Dafür müssen wir die Leute mitnehmen.

Sie haben gesagt, dass es Ihnen als Bürgermeister besonders am Herzen liegt, dass Ense grüner wird. Gleichzeitig werden immer mehr Flächen versiegelt. Können Sie zaubern? Wie wollen Sie Ense grüner machen?

Ja, das habe ich gesagt und bin froh, dass da mittlerweile alle Parteien hinter stehen. Wir werden zum Beispiel die Umgrünung des Industriegebiets realisieren. Wir müssen generell schauen, dass wir die Grünstreifen, die wir haben, weiterentwickeln, ohne dabei die Landwirtschaft zu behindern, die weiter an ihre Felder muss. Ich glaube, da ist in Ense vieles möglich.

Wenn es um die Planung von Neubaugebieten geht, muss man ebenfalls ganz klare Vorschriften machen, wie eine Begrünung auszusehen hat. Von den Steingärten sollte man sich wieder verabschieden.

Sie sind in Vollbringen aufgewachsen und wohnen in Niederense. Haben Sie die Gemeinde nie verlassen?

Ich habe Ense nie verlassen. Die einzige Ausnahme waren zwei Jahre direkt nach der Bundeswehr. Damals wollte ich unbedingt zu Siemens. Der Weg ging für mich über Freiburg und Stuttgart, aber dann wieder zurück in die heimatlichen Gefilde.

Ich bin hier aufgewachsen, habe die Schulen in Höingen und Niederense besucht und war auch auf der Conrad-von-Ense-Schule in Bremen. Deshalb bin ich der Schule sehr verbunden. Ich habe eine ganz klassische Handwerksausbildung im Elektrobereich absolviert und mich dann bis zur Geschäftsleitung hochgearbeitet.

Glauben Sie, dass Ihre Karriere, die ja mit dem Hauptschulabschluss begonnen hat, heute noch so möglich ist?

Ich glaube man muss es wollen und Ziele vor Augen haben. Wenn man Führungsverantwortung übernehmen will, muss man sich weiterbilden. Man muss es verstehen Menschen zu führen und sie zu begeistern. Aber die Grundvoraussetzung ist, dass man motiviert ist. Es schadet nicht, wenn man den richtigen Riecher hat und zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Aber ja, ich denke grundsätzlich geht das noch.

Was ist einfacher zu führen: eine Gemeindeverwaltung oder ein Unternehmen?

Ich habe erwartet, dass die Verwaltung viel schwieriger zu führen ist. Dort wo ich geglaubt habe, dass es schwierig werden könnte, sehe ich heute keine Probleme mehr. Ich sehe eher, dass die Geschwindigkeit der Umsetzung in Unternehmen manchmal schneller ist als in der Verwaltung. Im Rathaus braucht man immer die Zeit die Politik mitzunehmen, was mir sehr wichtig ist. Ich kommuniziere viel mit den Fraktionsvorsitzenden und glaube die Politik in Ense hat einen hohen Informationsstand. Aber im Endeffekt gibt es keine großen Unterschiede. Letztlich geht es bei Unternehmen und Verwaltungen um Menschen, die man mitnehmen muss.

Rainer Busemann
„Ich bin in dieser Krise unheimlich an mir gewachsen.“

Was war Ihr bisher bester Fehler?

Ich will gar nicht sagen, dass ich da einen Fehler begangen habe, aber die Wirtschaftskrise 2009 war die schwerste Zeit meines wirtschaftlichen Tuns. Ich bin damals in drei Insolvenzen von Kunden hineingerutscht. Die kleinste davon war schon groß. Damals habe ich 35 Mitarbeitern gesagt, dass ich sie nicht entlassen werde. Durchaus gegen den Druck aus dem Unternehmen, dem natürlich Aufträge weggebrochen sind.

Ich bin in dieser Krise unheimlich an mir gewachsen. Ich habe den Rückhalt der Mitarbeiter gespürt und wusste dadurch, dass ich nicht alles falsch gemacht habe. Die Mitarbeiter geben einem das bis zum Schluss zurück. Mit solchen Menschen kann man erfolgreich sein. Es geht nur gemeinsam im Team. Deswegen versuche ich auch das Rathaus sehr teamorientiert zu führen.

Man hätte vielleicht etwas besser machen können, um zu erkennen, dass sich Insolvenzen anbahnen. Da muss ich auch kritisch zu mir selbst sein. Aber es war das Jahr 2009, in dem plötzlich alles über einem hereinbrach.

Wen wünschen Sie sich als zukünftigen Bundeskanzler bzw. zukünftige Bundeskanzlerin für Deutschland?

Ich bin davon überzeugt, dass es eine schwarz-grüne Regierung geben wird.

Unter welchem Kanzler oder welcher Kanzlerin?

Es könnte wieder eine Kanzlerin werden. Aber ich lege mich da nicht fest. Ich glaube Herr Laschet würde an der Aufgabe genauso wachsen, wie er am Ministerpräsidentenamt gewachsen ist. Damals konnte ich mir das auch schwer vorstellen, aber man muss sagen er macht das gar nicht schlecht. Jetzt steht er vor der nächsten Herausforderung. Da sage ich ganz ehrlich: allerhöchsten Respekt, dass er sich das zutraut.

Sie sind nicht nur Vollblut-Schütze, sondern auch Fußballfan. Für welchen Verein schlägt Ihr Herz?

Ich bin ja jemand der immer positiv nach vorne schaut, aber bei den Königsblauen fällt mir das im Moment schwer. Ja, ich bin Schalker. Durch und durch. Und ich werde immer Schalker bleiben. Wenn wir in die dritte Liga gehen, dann komme ich mit.

Als Schalker sind Sie auf jeden Fall leidensfähig.

Vielen Dank für das Interview, Herr Busemann!