08.06.2021

Ist unser Handwerk in Gefahr?

Azubi-Mangel im Handwerk

Viele von uns haben die Zeit des Lockdowns genutzt, um das Eigenheim oder die Wohnung im kleinen oder großen Stil zu renovieren. Vertrauen können wir hierbei der Expertise unserer heimischen Handwerksbetriebe. Aufgrund der (glücklicherweise) guten Auftragslage, muss man in den ein oder anderen Fällen mit Wartezeit rechnen, bevor die Renovierung fachmännisch angegangen wird. Aber dieses Problem scheint noch ein kleines zu sein, wenn man sich eine der größten Herausforderungen anschaut, vor denen das Handwerk steht.

Aus Magazin Nr: 163

3 min Lesezeit

Zum Ausbildungsstart 2020 war laut Arbeitsagentur ungefähr jede sechste Ausbildungsstelle im Handwerk unbesetzt. Innerhalb der handwerklichen Berufe zeigt sich zudem ein recht heterogenes Bild. Vor allem in Bau- und baunahen Berufen, wie Maurer oder Maler, bleiben viele Ausbildungsstellen unbesetzt. Auf 100 betriebliche Ausbildungsstellen kommen im Hochbau nur 47 gemeldete Bewerbungen, im Tischlerhandwerk sind es hingegen 225.

Diesbezüglich habe ich mir ein eigenes Bild in einem unserer Enser Handwerksbetriebe gemacht. In einem Interview bestätigten mir der Estrichlegermeister Niklas Köhler und der Parkettlegermeister Frederik Köhler von dem Niederenser Handwerksbetrieb Köhler Fußbodenbau GmbH, dass man auch in den örtlichen Handwerksbetrieben längst vor dieser Herausforderung stehe. Mittlerweile sei man um jede Bewerbung für eine Ausbildung als Estrichleger oder Parkettleger dankbar. Für das aktuelle Jahr habe man lediglich eine Bewerbung für den Bereich Estrich erhalten, für den Bereich Parkett keine Einzige. „Viele können sich heute gar nicht mehr vorstellen, was ein Estrich- oder Parkettleger macht“, so Niklas Köhler. „Daher sei es wichtig, dass man offen mit einem praxisnahen Bild der Arbeit wirbt“, führte Frederik Köhler weiter aus. Auch sie beteiligten sich an der in diesem Jahr digital stattfindenden Ausbildungsmesse in Ense (AmiE), bei der heimische Betriebe die Möglichkeit haben für ihre Ausbildungsberufe zu werben. Mit professionell gedrehten Videos konnten sie so ihre Tätigkeiten anschaulich darstellen und offen kommunizieren.

Besuch vor Ort, bei der Firma Köhler Fußbodenbau

„Darüber hinaus fehle es dem Handwerk an Wertschätzung“, so Frederik Köhler. Niklas Köhler führte weiter aus, dass heutzutage viele eine handwerkliche Ausbildung mit einem schlechten Schulabschluss verbinden. Er beschreibt damit ein soziales Phänomen, welches durch den allgemeinen Trend zu höheren Bildungsabschlüssen bekräftigt wird. Berufe, die nach Ansicht der Betriebe „nur“ einen Hauptschulabschluss erfordern, werden meist mit negativen sozialen Positionen assoziiert und wirken somit für die meisten Jugendlichen unattraktiv. Vor allem in Zeiten des steigenden Wohlstands wird der soziale Stand und damit die gesellschaftliche Anerkennung eines jeden immer wichtiger. Wenn diese fehlende Anerkennung anhält, ist unser Handwerk ernsthaft in Gefahr.

Es ist unser aller Aufgabe dafür Sorge zu tragen, dass handwerkliche Berufe wieder die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen. Schulisch kann beispielsweise ein das Abitur mit einer Berufsausbildung verbindendes Berufsabitur den Trend der steigenden Bildungsabschlüsse mit einer handwerklichen Ausbildung harmonisieren. Neben der schulischen Relevanz kommt zudem den Eltern eine zentrale Rolle in der Berufsfindung zu. Für die angehenden Berufsleute ist eine Beratung und Ermutigung zu einem Praktikum auf Basis ihrer Wünsche und Ziele essentiell, eine Bevormundung kann einer freien Willensbildung aber zuwiderlaufen.

Denn unterm Strich bietet das Handwerk sehr viele positive Facetten. „Das Schönste ist, wenn man am Ende des Tages sieht, was man geschafft hat“, so die beiden Handwerker abschließend. Und wir sind glücklich, wenn wir die qualifizierte Arbeit der heimischen Fachbetriebe betrachten können und die Renovierung endlich abgeschlossen haben.

Bleiben Sie gesund,

Ihr Simon Hennecke